Als Kinder bauten wir uns kleine Häuser aus Kissen, Decken, Matratzen und Vorhängen – jedes Baumaterial war uns recht. Hauptsache dunkel und höhlig. Wir unter uns. Für Erwachsene gesperrt. In der Natur (ich bin auf dem Lande groß geworden) setzten wir dieses Spiel, wenn die Witterung es zuließ, fort. Wir suchten Freiräume in Hecken – bauten sie aus zu Bandennestern. Zu viert oder fünft rauchten wir im Innern ausgetrocknete Schierlingsstängel und besprachen den Status von Kämpfen mit anderen Dorfbanden, Fußballspiele, den geplanten Ankauf von Goldfischen oder auch Erlebnisse aus der Schule. Wir waren zwischen zehn und zwölf Jahre alt und trotzdem hatten wir es in uns: diesen starken Wunsch nach einem geheimen und geschützten Ort. Er durfte – nein, er musste klein sein, um nicht aufzufallen. Niemand durfte ihn von Weitem oder Nahem ausmachen können. Die perfekte Tarnung war eine Mischung aus Kleinheit und Tarnung. Der Hobbiteffekt.
Dieser Wunsch scheint sich bei vielen Menschen während ihrer ganzen Lebenszeit zu erhalten. Das erklärt die ewige Faszination für sogenannte Tiny Houses – kleine Häuser für den Boden oder auch in Bäumen. Der Begriff »Tiny House« kommt aus Amerika und bedeutet »winziges Haus«.
Gerade erfahren wir eine starke Renaissance dieses Konzeptes. Dies hat wohl aber – außer dem genannten Kindheitsbedürfnis – weitere Gründe: die Versingelung unserer Gesellschaft, das gestiegene Umweltbewusstsein und die Möglichkeit, dass die Häuser aufgrund ihrer Kompaktheit mitgenommen werden können. Das ist natürlich genial. »Eine ideale Lösung für moderne Nomaden«, heißt es beim Infoportal Tiny Houses. Als ich die Bilder auf dessen Website sah, bekam ich Gänsehaut. Da war es wieder – dieses Gefühl aus meiner Kindheit. Moderne Kuben aus Kunststoff oder Holz, kleine Hexenhäuschen wie aus Märchenfilmen und sogar Baumhäuser in allen Stilrichtungen: rustikal, Dschungel, Glaskuppeln mit dem Namen »Beach Rock Treehouse« oder auch futuristische Star-Trek-Bauten.
Ich bin mir sicher, dass die kleinen Häuser, die Tiny Houses, der Beginn einer neuen Architekturära sind, die weltweit noch viele Blüten treiben wird. Das Thema ist noch nicht ausgereizt. Vor meinem inneren Auge sehe ich Kuben wie Legosteine auf den Dächern der großen Städte – mit normierten Schnittstellen für die Wasser-, Strom- und Kommunikationsversorgung. Wer umzieht, nimmt sie mit, pflanzt sich mit seinem gewohnten Heim woanders auf. Wird Mitglied einer Dachgartensiedlung oder eines Baumhausdorfes.
Ganz tief in uns hatten wir dies sicherlich als Kinder nicht nur geahnt, nein: auch gewusst. Es konnte nur so kommen. Richtige Abenteuer haben eben immer einen Platz in dieser Welt.
Nachfolgend einige Beispiele aus der Galerie von Tiny Houses.
Herzlichen Dank auch an Isabella Bosler für die nette Kooperation.
Der Frager
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